Mein kleines Sprengelmuseumnennt Frank Popp die selbst getischlerte Schrankvitrine mit 48 flachen, tablettartigen Schubladen, in denen er einige Hundert kleinformatige Dinge aufbewahrt. Namen gebend sind dreigeteilte Holzrahmen, die er Mitte der 1980er Jahre in der aufgelassenen Sprengel-Fabrik in Hannover vorfand. Jeweils acht in einem Container aus Sperrholz dienten vormals - ausgestattet mit entsprechenden Formeinsätzen aus Kunststoff - der Herstellung von halben Osterhasen und Weihnachtsmännern aus Schokolade, die dann - gefüllt oder nicht - zur Ganzform zusammengefügt wurden.
Fortsetzung von oben: 1985 stellte FP den Schrank erstmalig aus im Kunstverein Wolfenbüttel, anläßlich seiner ersten Einzelausstellung. Farbfotos von den Tabletts - je 16 in einem Rahmen - ermöglichten die Nahbetrachtung des Schrankinhalts. Nach 22 Jahren - zum zweiten Mal präsentiert - ist die Sammlung Teil der Retrospektive in Hannover, erweitert um die Abbildungen des heutigen Zustandes - vieles ist hinzu gekommen, manches wurde entfernt. Für den Extremsammler einerseits und den dauernd um Ordnung, Zuordnung und Verknüpfung bemühten FP andererseits, stellt sich das permanente Problem der Aufbewahrung - verbunden mit dem hohen Anspruch des Bewahrens für sich selbst und für eine interessierte Mitund Nachwelt. Im Streben nach vergleichender Anschaulichkeit, nach Erkenntnis des formal Sachlichen, nach dem lernenden Blick hinter die Dinge entsteht zwangsläufig die Notwendigkeit musealer Organisationsformen. Die Fülle des sich ansammelnden, dinglichen Fundus', des Bedeutsamen, des Rückbezüglichen, des Fraglichen und Rätselhaften wird für FP einzig in der geordneten Begreifbar- keit verfügbar. So boten die dreigeteilten Tabletts einen magischen Raster von 14 Gefachen, Fläche und Raum für Anordnungen und Zuordnungen der bislang verstreuten und verkramten Sammelsurien. Als eine Metapher seiner Existenz sieht FP ein Archiv mit vielen Sälen, in denen die Wände nur aus Schränken bestehen mit Tausenden von Schubladen und Fächern, in denen wiederum unendlich viele, von ihm selbst zugeordnete oder zuzuordnende Dinge lagern. Die Arbeit Schublade aus dem Handschuhmuseum von 1985 (Seite 36) ist dafür ein frühes Werkbeispiel. In seinem Wohnhaus und in den Atelierräumen hat sich eine Strukturierung entwickelt, die aus Regalen, Vitrinen, Schränken und Wandflächen besteht. Sein kleines Hochschulatelier nennt er wegen der in Metallregalen gestapelten, beschrifteten Kartons sein Schuhgeschäft. Ohne die Verfügbarkeit der deutlichen Kategorien zugeordneten Gegenstände, Teile und Materialien sind Verknüpfungen in jeder Hinsicht nicht, oder nur sehr schwierig und kaum ökonomisch erzielbar. Die Verknüpfung aber von mindestens zwei Dingen, die vorher so nicht zusammen waren, ist für FP die Grundformel des Schöpferischen. Für Ding stehen natürlich alle Möglichkeiten und Gege benheiten des Individuums, der menschlichen Zivilisation und Kultur sowie die von Natur und Universum. Diesem höchsten Anspruch zu genügen, ist ausgeschlossen, das Streben danach aber nicht. Immer wieder fasziniert ist FP von Darstellungen der Studuoli des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance, die den wißbegierigen Sammler inmitten seiner Naturalien, Kuriositäten, Gerätschaften und Bücher zeigen. Auch z.B. die berühmte Atelierwand von Adolf Menzel zieht ihn in ihren Bann. Die puristische Kargheit und Kühle moderner Interieurs, die angeblich dem Geistigen mehr Raum geben, sind dem Architekten FP durchaus erstrebenswert, doch bedeuten sie keine Alternative zur exzessiven Fülle des Materiellen, in der unendliche Anregung gespeichert ist und einer Verarbeitung im weitesten Sinne harrt. Das Bild des märchenhaften Goldes, gesponnen aus Stroh, wirkt aus der Kindheit bis in die Gegenwart nach. Die Ordnungskategorien des Kleinen Sprengelmuseums sind vielfältig. Ihre Bestandteile werden nicht weiter verarbeitet zu künstlerischen Sujets. Wohl aber enthalten sie kleinste Beispiele von Collagen, Montagen und Schnitzwerken. Wir finden wenige, frühe Miniaturen kolumbianischer und ozeanischer Götzenfigürchen, Nachahmungen aus geschwärztem oder vergoldetem Gips und aus Knochen. Ein Tablett zeigt aus weichem Ziegelstein oder Ton geschnittene Fragmente: Pferde- und Widderköpfe, Reliefs des Markuslöwen, die Brustwarze der Venus, Bildnisse eines antiken Römers, der Delphischen Pythia, das winzige Köpfchen des Olympischen Zeus. Natürlich entstammen die Rohstücke dem Fundort, der das jeweilige Thema der Darstellung bestimmt hat. Das Zeusköpfchen in die Grabung zu werfen und hämisch darauf zu warten, zu welcher Deutung die Fachkollegen kommen würden, war im Sommer 1980eine witzig-hinterhältige Idee im Deutschen Grabungshaus von Olympia, als FP seinen frisch geschnitzten Zeus vorzeigte. In der Kategorie Venedig aufbewahrt ist ein Stapel von Polaroids, von denen nur zwei - 1984 in der Lagunenstadt gefundene - echt sind: eine Ansicht der Piazzetta vom Bacino aus und eine unterbelichtete Rosette in San Marco. Die anderen 28 sind eigene Collagen aus Bild-, Plakat und Skizzenfragmenten. FP hatte zu spät begriffen, die tausendfach weggeworfenen, mißlungenen Sofortfotos der Touristen nicht als Sammelthema erkannt zu haben. Die Zeit der Polaroids war vorbei. In der Unterscheidung von sammeln und ansammeln liegt für FP eine wesentliche Kennzeichnung der Arbeitsvoraussetzungen. Gezielte Aneignung einzeln spezifizierter, gleichartiger Dinge - wie die Glasröhrchen, gefüllt mit Sänden von benannten Reiseorten - sind eine Sammlung. Dagegen die Markenschilder aus geprägtem Blech von Fahrradrahmen oder Sheriff-Sterne für Kinder - ohne Angaben zu Ort, Zeit und Umstände der Auffindung - sind eine Ansammlung. Beide Arten der permanenten Anhäufung stellen für FP - neben dem Reiz des Besitzens - insofern Herausforderungen dar, als ihre spätere Verwendung nur der Idee für das passende Bild folgen kann. Für diesen Prozeß der Umsetzung gibt es zahlreiche Beispiele. Verhältnismäßig großen Raum im Kleinen Sprengelmuseum nehmen Sammlungen ein, die mehr oder weniger Beziehungen zu Personen aus mehreren Generationen der Familie des FP und deren Lebensgeschichte verdeutlichen. Gebrauchsgegenstände, kleine Dokumente, Klingelschilder, Militaria und viele andere persönliche Hinterlassenschaften und Geschenke geben Einblick in Berufe, Engagements und Eigenarten, vermitteln über die dingliche Anwesenheit der Abwesenden die Grade der Verbundenheit des FP mit Lebenden und Verstorbenen. Zeichenutensilien der Großtante Lotte und Ölfarben der Großmutter Elly - Geschenksendung aus der DDR - sind Zeugnisse früh erfahrener Förderung. Zwei Weltkriege werden sichtbar in Sieg und Niederlage, in Munition und Relikten der Gefangenschaft, z. B. des Vaters winzige Aluminiumbüchse aus Rußland mit der zynischen Gravur 1 Kg Zucker, vom Munde abgespartes Geschenk der Kameraden. Ohne Frage: den meisten Platz in seinem Kleinen Sprengel- Museum beansprucht der bekennende Egomane FP für sich selbst. Von seinen roten Kinderschuhen aus Königsberg über Sporttrophäen, Spickzettel und Reiseandenken bis hin zu einer Sammlung der eigenen, auf Personen oder Lebensabschnitte bezogenen Fingerringe - auch dem mit Mücke im Bernstein, den die Mutter zu seiner Geburt vom Vater erhielt - breitet sich ein weites Spektrum nostalgischer Bezüge aus. Aber auch Eltern, Brüder, Frau und Kinder werden deutlich sichtbar in anrührender Schlichtheit und Intensität. Kurios oder banal, phantasievoll oder dilettantisch, kostbar oder billig, keinem Bezugsobjekt wird ein Platz in den Schubfächern verwehrt, wenn es denn in den begrenzten Maßstab paßt. Dem Außenstehenden allerdings verschließen sich Deutung und Stellenwert von Dingen der persönlichen Welt des FP. Ihm bleiben die Lust am Schauen, das Erkennen und Wiedererkennen, die Fragen und natürlich viele Rätsel, Spielräume für eigene Geschichten. FP 300807223. |
||||
Kontakt, © 2010 by Frank Popp |
||||